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Der Schlaganfall

Der Schlaganfall
Eine Krankheit, die die Menschheit bewegt
Das Gehirn ist die Steuerzentrale unseres Körpers. Obwohl es nur zwei Prozent unseres Körpergewichts ausmacht, verbraucht es ungefähr 20 Prozent der Energie, die dem Körper zur Verfügung steht. Rund 1.100 Liter Blut werden pro Tag hindurchgepumpt und versorgen das Gehirn mit etwa 75 Liter Sauerstoff und 115 Gramm Zucker. Bei einem Schlaganfall wird die Zufuhr zu bestimmten Arealen des Gehirns unterbrochen und innerhalb weniger Minuten beginnen die Gehirnzellen abzusterben. Über Jahrtausende hinweg steht man diesem Vorgang hilflos gegenüber.

Titelseite der 1556 in Venedig erschienenen „Opera Omnia“ von Galen
Quelle: Wellcome Library, London
Bereits vor mehr als 2.000 Jahren beschreiben Ärzte in den hippokratischen Schriften diese Erkrankung und geben ihr den Namen: Apoplexia – heftiger Schlag wie ein Blitz. Die Behandlungsmöglichkeiten sind extrem eingeschränkt: „Einen schweren Schlaganfall zu heilen ist unmöglich, einen minderschweren zu heilen nicht leicht.” Daher rät der berühmte griechische Arzt Galen zu einer ausgewogenen Ernährung, Laufen und Sport – vorbeugenden Maßnahmen, die heute noch genauso aktuell sind wie damals, um das Schlaganfallrisiko zu senken. Basierend auf der Viersäftelehre, die in der Antike entwickelt wird, um die Vorgänge im menschlichen Körper zu erklären, geht man bis ins 17. Jahrhundert davon aus, dass der Schlaganfall durch ein Ungleichgewicht des Mischverhältnisses des Blutes, der gelben Galle, der schwarzen Galle und des Schleims verursacht wird.
Erst 1658 geht Johann Jacob Wepfer, der als Arzt in Schaffhausen praktiziert, den Ursachen auf den Grund. Er seziert die Leichen von Personen, die an einem Schlaganfall gestorben sind, und erkennt zwei Formen der Erkrankung, die auch in der modernen Medizin unterschieden werden.

Knapp 85 Prozent aller Schlaganfälle werden durch einen sogenannten ischämischen Insult ausgelöst. Dabei verstopft ein Blutgerinnsel ein Gefäß im Gehirn, wodurch bestimmte Areale des Organs nicht mehr durchblutet werden. Ist die Erkrankung hingegen Folge einer Hirnblutung, sprechen Mediziner von einem hämorrhagischen Schlaganfall. Die Behandlung dieser beiden Formen der Erkrankung unterscheidet sich grundlegend. Daher muss schnellstmöglich geklärt werden, um welche Art Schlaganfall es sich handelt.
Dem Schlaganfall auf der Spur
Lange Zeit konnte man nur anhand äußerer Symptome wie Lähmungserscheinungen versuchen, eine Diagnose zu stellen. Erst mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen am 8. November 1895 ergeben sich völlig neue Einblicke in die Körper lebender Menschen. Viele Krankheiten sind nun wesentlich schneller und zuverlässiger zu diagnostizieren. Doch die Abbildung des Gehirns mittels Röntgenstrahlen stellt eine besondere Herausforderung dar. Umgeben vom Schädelknochen, Hirnhäuten und der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit ist unser Gehirn gut geschützt. Genau diese Schutzhülle beeinträchtig die Bildqualität anfangs stark. Die Entwicklung spezieller Geräte und Untersuchungsmethoden gibt allmählich den Blick auf das Gehirn und dessen Gefäßsystem frei. Die Untersuchungen sind allerdings umständlich, zum Teil langwierig und für den Patienten äußerst unangenehm. Zum Durchbruch in der Schlaganfalldiagnostik führt in den 1970er Jahren die Entwicklung der Computertomographie - Mit der CT wird es erstmals möglich, schnell und zuverlässig zu unterscheiden, ob eine Durchblutungsstörung oder eine Hirnblutung vorliegt. Durch das Aufkommen der Magnetresonanztomografie und der Doppler- und Duplexsonographie können weitere Informationen rund um den Schlaganfall gewonnen werden. Doch was hilft die präziseste Diagnostik ohne Behandlungsmöglichkeiten? Noch bis Mitte der 1990er Jahre gibt es keine wirksame Therapie, um den akuten Schlaganfall zu behandeln.
Meilensteine der zerebralen Angiografie

1927
Antonio Egas Moniz gelingt die erste Darstellung der Gehirnarterien eines lebenden Menschen mithilfe von Röntgentechnik.

1931
Das Lysholm-Schädelgerät ist das erste Spezialgerät zur Abbildung des Gehirns mithilfe von Kontrastmitteln in der Geschichte von Siemens Healthineers. Es bleibt drei Jahrzehnte lang Standard bei schwierigen Schädelaufnahmen und Angiographien des Gehirns.

1956
Der Schädel-Kassettenwechsler zur Serien-Gefäßdarstellung von Siemens ist speziell auf die Serienangiographie der zerebralen Gefäße zugeschnitten. Durch die schnelle Aufnahme mehrerer Röntgenbilder hintereinander, kann der Arzt beispielsweise beobachten, wo die Durchblutung gehemmt ist und welche Ursache dieser Störung zugrunde liegt.

1975
Siemens bringt seinen ersten Computertomographen auf den Markt, den Schädelscanner SIRETOM.

1977
Das Angioskop ist das erste Gerät von Siemens mit einem C-Bogen, der sich, zu dieser Zeit noch per Hand, frei in jeder Richtung um den Patienten bewegen lässt. Durch seinen Aufbau ist das Gerät auch sehr gut für die zerebrale Angiographie geeignet.

1983
Siemens stellt sein erstes kommerzielles MRI-System vor – MAGNETOM.

1990
Das Farbdoppler-System Q2000 ermöglich es, feinste Gefäße, Arterienverkalkungen und den Blutfluss ohne Kontrastmittel darzustellen. In den Kopf kann der Arzt seinem Patienten damit allerdings noch nicht schauen, wie es in der Pressemeldung zur Markteinführung heißt.

2005
Das SOMATOM Definition ist der weltweit erste Dual-Source-Scanner und arbeitet mit zwei Röntgenröhren gleichzeitig. Aufgrund seiner hohen Geschwindigkeit und Detailgenauigkeit eignet sich das SOMATOM Definition auch sehr gut in der Akutversorgung zur Befundung von Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall.
2006
Siemens stellt die neue MR-Applikation Syngo SWI vor. Mit der Susceptibility-weighted Imaging -Technik können Ärzte auch kleinste Hirnblutungen erkennen und einen drohenden Schlaganfall schneller diagnostizieren als bisher.
2007
In Zusammenarbeit mit der Universität Pennsylvania hat Siemens Syngo ASL (Arterial-Spin-Labeling) entwickelt. ASL ist ein MRT-Verfahren, bei dem das Wasser im arteriellen Blut als körpereigenes Kontrastmittel verwendet wird. Es gewährt Einblicke in die Durchblutung und funktionelle Physiologie des Gehirns und ist somit auch für die Beurteilung von Schlaganfällen interessant.

2019
Mit dem fahrbaren Kopfscanner SOMATOM On.site von Siemens Healthineers können zum Beispiel bei Intensivpatienten CT-Untersuchungen direkt am Patientenbett durchgeführt werden. So entfällt der zeit- und personalaufwendige Transport des Patienten von der Intensivstation in die Radiologie.
Heute können mit der Computertomographie hochaufgelöste 3D Darstellungen angefertigt werden, anhand derer man den Schädel, das Weichteilgewebe des Gehirns und die Strukturen der Gefäße im Gehirn sehr genau beurteilen kann (Fig.1). Die CT kommt routinemäßig in der Schlaganfalldiagnostik zum Einsatz und liefert automatisierte Ergebnisse über die vom Schlaganfall betroffenen Hirnareale (Fig.2). Außerdem unterstützt die funktionelle Bildgebung den Arzt dabei, zu unterscheiden, welche Hirnareale noch gerettet werden können (Fig.3) und sie kann aktive von nicht aktiven Hirnblutungen beispielsweise nach einer Operation unterscheiden (Fig. 4).

Liegt ein Schlaganfall weniger als 4,5 Stunden zurück, ist das Schlaganfall-Ödem in einer anatomischen MR-Aufnahme häufig noch nicht zu erkennen (Ellipse im rechten Bild). Mit der sogenannten diffusionsgewichteten Magnetresonanz-Messung, wie sie beispielsweise mit dem MAGNETOM Vida heute möglich ist, lassen sich zytotoxische Ödeme, die durch den Zelltod von Neuronen bei einem Schlaganfall verursacht werden, dagegen bereits frühzeitig sehr gut darstellen (Ellipse im linken Bild). So kann der Ausgangspunkt eines Schlaganfalls zeitlich gut eingegrenzt werden.

1927
Antonio Egas Moniz gelingt die erste Darstellung der Gehirnarterien eines lebenden Menschen mithilfe von Röntgentechnik.
Die Blockade lösen
Ausgangspunkt für die Entwicklung einer medikamentösen Behandlung des ischämischen Schlaganfalls sind die Forschungen des belgischen Molekularbiologen Désiré Collen in den 1970er Jahren. Er geht der Frage nach, wie man Blutgerinnsel auflösen kann, und entwickelt die Substanz Alteplase rt-PA (recombinant tissue plasminogen activator), welche das Gerüst des Thrombus abbauen und ihn so zersetzen kann. Seit Mitte der 1990er Jahre kommt das Medikament in der Lysetherapie (griechisch: Lysis = Auflösung) zur Akutbehandlung des Schlaganfalls zum Einsatz. Etwa 50 bis 60 Prozent der Gefäßverschlüsse können so beseitigt und die Blutversorgung des betroffenen Bereiches des Gehirns wiederhergestellt werden. Allerdings ist die Lysetherapie nicht für jeden Patienten geeignet und muss im Zeitfenster von 4,5 Stunden nach dem Schlaganfall zum Einsatz kommen.
Dank der Pionierarbeit von Medizinern wie Werner Forßmann, Charles Dotter und Andreas Grüntzig zur Interventionellen Radiologie steht seit etwa 2008 neben der Lysetherapie eine weitere Möglichkeit zur Behandlung von Gefäßverschlüssen zur Verfügung - die mechanische Thrombektomie. Dabei wird unter Röntgenkontrolle ein Katheter über die Leiste durch die Halsschlagader bis zum Blutgerinnsel, welches das Hirngefäß verschließt, vorgeschoben. Das Blutgerinnsel kann dann mit einem sogenannten StentRetriever - einem körbchenartigen Drahtgeflecht, das im Katheter verläuft - entfernt oder mit einem speziellen Aspirationskatheter - einer Art winzigem Staubsauger - abgesaugt werden. Obwohl bei der mechanischen Thrombektomie mit einem Zeitfenster von etwa 24 Stunden etwas mehr Zeit zwischen dem Eintreten des Schlaganfalls und der Behandlung bleibt als bei der Lyse und beide Verfahren auch kombiniert werden können, gilt immer – Time is brain! Denn je schneller ein Patient nach dem Eintreten der ersten Symptome behandelt wird, desto besser stehen seine Chancen, dass keine bleibenden Einschränkungen auftreten.
Meilensteine der Katheter-Therapie

1929
Der junge Assistenzarzt Werner Forßmann führt die erste Herzkatheteruntersuchung der Welt durch. In einem waghalsigen Selbstversuch schiebt er einen Gummischlauch über einen Venenzugang bis in sein Herz und beweist damit, dass Herzkatheteruntersuchungen möglich sind.
Entdecken Sie die ganze Geschichte!
Quelle: Forssmann, Werner: “Die Sondierung des rechten Herzens”, Klinische Wochenschrift, No. 45, 1929

1963
Charles Dotter entfernt bei einem Patienten mit verengter Nierenarterie bei einer Angiographie mit dem Katheter zufällig die Blockade. Das Blut kann wieder ungehindert fließen. Fortan widmet Dotter seine gesamte Karriere der „Katheter-Therapie“ und dem Ziel, Menschen wann immer möglich mit dem Katheter, statt mit dem Skalpell zu behandeln.
Lesen Sie mehr!
Quelle: Maria Schlumpf-Walker

1977
Andreas Grüntzig führt die erste sogenannte perkutane transluminale Koronarangioplastie (PTCA) mit einem selbstgebastelten Ballonkatheter durch und erspart so seinem stark herzinfarktgefährdeten Patienten eine Bypass-Operation.
Quelle: Maria Schlumpf-Walker

1990
Der italienischen Neurochirurgen Dr. Guido Guglielmi führt den ersten Eingriff durch, bei dem ein sogenannter Guglielmi Detachable Coil - eine Platinspule - im Hirngefäß platziert wird, um ein Aneurysma zu verschließen. Dadurch kann vermieden werden, dass ein Aneurysma platzt und zu einer Hirnblutung führt.
2005
Die Hybridlösung Angio CT Miyabi kombiniert einen auf Schienen fahrbaren CT Scanner SOMATOM Sensation mit der Angiographie-Einheit Axiom Artis, wodurch die Versorgung von Notfallpatienten verbessert werden kann. Zunächst kann eine komplette Gefäßstudie des Gehirns mit dem CT aufgenommen werden. Das CT kann dann in den Nachbarraum gefahren werden. Wenn eine Katheterisierung notwendig ist, steht das Angio-System direkt bereit und kann ohne Zeitverlust heran bewegt werden

2008
Erstmals werden Thrombektomien unter Verwendung von komplett entfalteten intrakraniellen Stents (Stent-Retrievern) durchgeführt.
Courtesy: M. Psychogios, MD, Head of Neuroradiology, University Hospital Basel, Switzerland

2021
syngo DynaCT Multiphase ermöglicht die Visualisierung von zerebralen Kollateralgefäßen mit zeitaufgelöstem syngo DynaCT, wobei 10 verschiedene Zeitpunkte innerhalb eines Zeitraums von 60 Sekunden dargestellt werden können.

1929
Der junge Assistenzarzt Werner Forßmann führt die erste Herzkatheteruntersuchung der Welt durch. In einem waghalsigen Selbstversuch schiebt er einen Gummischlauch über einen Venenzugang bis in sein Herz und beweist damit, dass Herzkatheteruntersuchungen möglich sind.
Entdecken Sie die ganze Geschichte!
Quelle: Forssmann, Werner: “Die Sondierung des rechten Herzens”, Klinische Wochenschrift, No. 45, 1929
Der rasante Fortschritt bei den Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Sterblichkeitsrate nach einem Schlaganfall in den letzten 30 Jahren deutlich zurückgegangen ist. Durch rasches Handeln und optimierte Arbeitsabläufe können die Folgen erheblich gemindert werden. Trotzdem ist der Schlaganfall noch immer weltweit die zweithäufigste Todesursache. Deshalb wird in Zukunft weiter daran gearbeitet, die Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern und die Prävention voranzutreiben. Gerade die mechanische Thrombektomie ist ein vielversprechender Ansatz. Noch gibt es relativ wenige Experten, die diesen Eingriff durchführen können. Mithilfe künstlicher Intelligenz und robotergestützter Systeme könnten in Zukunft weltweit Schlaganfallpatienten von dieser Methode profitieren.
Spezialistin für Historische Kommunikation und Historikerin im Siemens Healthineers Historical Institute