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Der Klempner der Blutgefäße

Der Klempner der Blutgefäße
Die Anfänge der interventionellen Radiologie
Wenn ein Mediziner keine Katheter zur Hand hat, dann kann er sie sich selbst bauen, beispielsweise aus Gitarrensaiten, dem Tachokabel eines Volkswagen, oder einem Telefonkabel, das er in einem Mülleimer findet – denkt sich der amerikanische Radiologe Charles Dotter im Jahre 1963, als er für seine Forschungen neue Katheter braucht.
Dotter leiht sich bei einem Besuch auf dem Kongress der Radiological Society of North America eine Lötlampe, geht auf sein Hotelzimmer und wird am nächsten Morgen mit zehn „wunderschönen“ Kathetern gesehen. Charles Dotters Liebe zum Handwerk ist wohl auch der Grund für sein Motto: „Was ein Klempner mit Rohren tut, können wir mit Blutgefäßen machen.“

Doch was tut ein Klempner, das nach Dotters Meinung auch ein Radiologe tun kann? Und welche Rolle spielen dabei die Katheter? Bei einer sogenannten Angiographie injiziert der Radiologe mithilfe eines Katheters ein Kontrastmittel, um „hohle“ Gefäße wie Arterien und Venen sichtbar zu machen. Auf einem Röntgenbild hebt sich das Kontrastmittel entweder als dunklerer oder als hellerer Schatten vom umliegenden Gewebe ab. Auf mehreren, schnell hintereinander aufgenommenen Bildern kann der Arzt beispielsweise beobachten, wo die Durchblutung durch eine Gefäßverengung gestört ist.

Die Gefäße beider Nieren, aufgenommen mit dem Siemens Angiotron und einem der ersten digitalen Verfahren zur Bildverbesserung

Untersuchung mit dem Siemens Angiotron im Jahre 1984
100.000 Kilometer zur Therapie
Bis 1963 lassen sich verengte Gefäße nur mithilfe von Skalpell, Nadel und Faden therapieren – dann beobachtet Charles Dotter einen Vorgang, der die Gefäßtherapie für immer verändern sollte. Als Dotter bei einem Patienten mit verengter Nierenarterie eine Angiographie durchführen will, entfernt er mit dem Katheter zufällig die Blockade. Das Blut kann, wie deutlich auf den Röntgenbildern zu sehen ist, wieder ungehindert fließen. Dotter beschließt, seine gesamte Karriere der „Katheter-Therapie“ zu widmen. Die erste Patientin, bei der er die neue Therapie gezielt einsetzt, ist eine 82-jährige Frau namens Laura Shaw. Der linke Fuß der Dame schmerzt seit Wochen, das Gewebe ist schwarz und scheint von Tag zu Tag mehr zu schrumpfen. All ihre Ärzte raten zur Amputation – doch Laura Shaw weigert sich hartnäckig! Als schließlich auch Charles Dotter gebeten wird, die Frau zu untersuchen, erkennt er die Ursache ihres Leidens: Die Arterie des linken Oberschenkels ist beinahe vollständig verschlossen.
Dotter beschließt, einen Katheter zu nutzen, um die Verengung in Laura Shaws Arterie zu beseitigen. Nach wenigen Minuten fließt das Blut wieder bis in die Zehen, der Fuß der Dame ist durchblutet und warm. Eine Woche später sind die Schmerzen verschwunden, und auch drei Jahre danach, kurz vor ihrem Tod, läuft Laura Shaw „noch immer auf meinen eigenen zwei Füßen.“

Aus Charles Dotters bahnbrechenden Arbeiten entwickelt sich schließlich die medizinische Disziplin, die wir heute interventionelle Radiologie nennen. Das etwa 100.000 Kilometer lange Gefäßsystem des Menschen bietet Medizinern heute Zugang zu allen Organen. Mit millimeterdünnen Kathetern lassen sich etwa verschlossene Gefäße im Gehirn öffnen, innere Blutungen behandeln oder verengte Herzkranzgefäße mit Stents stabilisieren. Um die Radiologen bei den minimal-invasiven Eingriffen zu unterstützen, haben wir im Laufe unserer Firmengeschichte zahlreiche spezialisierte Angiographie-Systeme entwickelt.

Die Software Syngo iPilot aus dem Jahre 2006 hilft dem Arzt beispielsweise bei der minimal-invasiven Therapie von Hirngefäßen

Das Axiom Artis und die Software DynaCT Cardiac unterstützen bei der Behandlung von Herzrhythmusstörungen

Die in Artis zeego integrierte Industrierobotertechnik ermöglicht dem Arzt, den C-Bogen beinahe beliebig um den Patienten herum zu positionieren
Dem Arzt stehen direkt am Operationstisch dreidimensionale Bilder der Anatomie des Patienten zur Verfügung, die ihm während des Eingriffs wichtige Informationen liefern können. Auch die „Therapie von morgen“ nimmt bereits Gestalt an: Schon heute können Ärzte mit unseren Systemen minimal-invasive Behandlungen robotergestützt durchführen, ohne direkt am Operationstisch zu stehen. Mediziner sitzen dabei an einem strahlengeschützten Arbeitsplatz oder in einem Kontrollraum und verwenden Joysticks und Touchscreen-Bedienelemente, die die Bewegungen des Arztes zum System übertragen.
Technikjournalist und Autor im Siemens Healthineers Historical Institute