AXIOM Artis, 2004
Bildgebung

„Oh, wow! Was machen die da?“  

Die Geschichte der syngo DynaCT-Technologie – von der Idee bis zur Präsentation der ersten Patientenbilder
Ingo Zenger
Veröffentlicht am March 31, 2025

Wer als Pionier an neuen Technologien arbeitet, steht oft vor ungewöhnlichen Herausforderungen. Als ein Team mit dem Physiker Thomas Brunner Ende der 1990er Jahre die Idee zu einem neuen Verfahren vorstellte, mit dem sich Computertomographie-ähnliche (CT) Bilder direkt mit dem Angiografie-System im Behandlungsraum der interventionellen Radiologie erzeugen lassen, schwankten die Reaktionen zunächst zwischen Skepsis und Verwunderung. „Oh, wow! Was machen die da?“, fasst Brunner das Erstaunen vieler Kolleginnen und Kollegen aus dem Angiographie-Anlagen-Geschäftsgebiet zusammen. Das Team aus der CT-Entwicklung schätzte die Erfolgschancen für dieses Projekt vorerst als sehr gering ein. Die Limitierungen, die der Aufbau von Angiographie-Systemen mit sich bringt, würden es wahrscheinlich unmöglich machen, brauchbare CT-ähnliche Bilder zu erzeugen. „Der Aufbau eines Angiographie-Systems ist nicht wirklich für CT-Bildgebung geeignet“, betont auch Thomas Brunner. „Wir sind bei einem C-Bogen-System eingeschränkt durch mehrere Gegebenheiten: der Detektor eines Angiographie-Systems ist nicht für eine CT-Bildgebung ausgelegt und die höchstmögliche Rotationgeschwindigkeit des C-Bogens ist deutlich geringer als die von CT-Scanner.“ 

Unter dem Begriff interventionelle Radiologie lassen sich verschiedene meist minimalinvasive Eingriffe unter der Kontrolle und Steuerung von bildgebenden Systemen zusammenfassen.

Trotz der scheinbar geringen Erfolgsaussichten erhielt das Team von Anfang an große Unterstützung. Das Management befürwortete die Entwicklung der ungewöhnlichen Technologie, die Kolleginnen und Kollegen der Grundlagen-Forschung und der Computertomographie standen mit Rat und Tat zur Seite. Auf diese Teams warteten ungewöhnliche Herausforderungen. „Für sie war die gemeinsame Arbeit an unserer Idee eine wirklich seltsame Welt“, erinnert sich Brunner mehr als 20 Jahre später. „Es war sehr, sehr schwierig, die Voraussetzungen unserer Technologie in ein Angiographie-System zu integrieren.“ Mitte 2004 – nach rund fünf Jahren Forschung an verschiedenen Prototypen – war die Technologie ausgereift und wurde auf den Namen syngo DynaCT getauft. Für das Entwicklungs-Team und das Geschäftsgebiet war das ein ganz besonderer Moment, wie Thomas Brunner erzählt: „Zu sehen, dass alles wie geplant funktioniert, dass die ersten Untersuchungsbilder die erstrebte Qualität erreichen – das war für uns der schönste Augenblick nach der Überwindung aller Herausforderungen.“

Kopfaufnahme mit syngo DynaCT, 2004

Im November 2004 wurde syngo DynaCT auf dem Kongress der Radiological Society of North America (RSNA) in Chicago zum ersten Mal einem breiten Publikum vorgestellt. Im Jahre 2005 präsentierte Siemens Healthineers (damals unter dem Namen Siemens Medical Solutions) auf dem RSNA das erste Angiographie-System mit DynaCT-Technologie, das AXIOM Artis. Produktmanager Michael Martens erinnert sich noch lebhaft an diese Zeit: „Es war wirklich erstaunlich zu beobachten, wie viele Menschen sich auf den Fluren unseres Messestandes versammelt hatten, um unser neues System zu sehen. Es war ein Zwei-Ebenen-System, das typischerweise von unseren Kunden in der Neuroradiologie eingesetzt wird. Genau diese Kunden konnten zum ersten Mal – dank syngo DynaCT – eine CT-ähnliche Bildgebung sehen, die beispielsweise Blutungen im Gehirn und eingebrachte Gefäßstützen darstellen konnte.“ Die ersten syngo DynaCT-Bilder, die Siemens Healthineers auf dem Kongress der RSNA zeigte, waren die ersten CT-ähnlichen Bilder, die mit einem interventionellen Bildgebungssystem erstellt wurden. „Uns besuchten zahlreiche Kunden aus verschiedenen Ländern. Einige sagten wirklich, dass die Bilder aussehen, als wären sie mit ihren Computertomographen aufgenommen worden; andere Kunden konnten nicht wirklich glauben, was sie da sahen.“ Einige seien zunächst skeptisch gewesen, doch die Möglichkeit der diagnostischen Bildgebung mit einem interventionellen System habe sie von der neuartigen Technologie überzeugt. „Es macht mich als Produktmanager sehr stolz, dass aus all unseren Ideen und Gedanken, die wir während der Entwicklung und Erprobung hatten, etwas geworden ist, das sich deutlich auf die klinische Praxis ausgewirkt hat und noch heute vielen Patientinnen und Patienten hilft.“ 

Axiom Artis, 2004

Heute können wir auf zahlreiche kleine und große Meilensteine in der Geschichte der syngo DynaCT-Technologie zurückblicken. „Wir haben viele Kunden, die neue Ideen, Anwendungen und Gedanken in unsere Weiterentwicklungen eingebracht haben,“ betont Michael Martens. Während die erste Generation der Technologie ausschließlich auf die Darstellung von Blutungen im Gehirn optimiert war – was noch heute eine wichtige Anwendung von syngo DynaCT darstellt –, kamen im Laufe der folgenden Jahre noch zahlreiche Einsatzmöglichkeiten hinzu: Kurz nach der Vorstellung, zum Beispiel, wurden in Nürnberg (Deutschland) und Chiba (Japan) erstmals Tumoren in Leber und Nieren und deren vaskuläre Versorgung mit Hilfe von syngo DynaCT dargestellt. 2007 folgte die erste dreidimensionale Aufnahme eines Herzens, 2009 die erste Abbildung des Blutvolumens im Gehirn, 2012 hob syngo DynaCT in Verbindung mit dem neuen HDR-Detektor die Weichteilauflösung auf eine neue Stufe. Mit der aktuellen Generation von syngo DynaCT können Bilder in nur 2,5 Sekunden aufgenommen werden. Thomas Brunner, der noch heute an der Weiterentwicklung von syngo DynaCT arbeitet, bemerkt zum 20. Geburtstag der Technologie mit einem Lächeln: „Ich denke, wir haben gezeigt, dass sich der ganze Aufwand gelohnt hat und die Reise noch lange nicht am Ende ist.“ 


Ingo Zenger
Ingo Zenger
Von Ingo Zenger

Technikjournalist und Autor im Siemens Healthineers Historical Institute