Bildgebung

Die Lunge auf dem Schirm

Lungenscreenings damals und heute

7min
Katharina Schroll-Bakes
Veröffentlicht am August 14, 2023

„Auf die Markierung stellen. Tief einatmen. Die Luft anhalten. Aufnahme. Danke fertig. Der Nächste bitte!“ So oder so ähnlich wurden die Menschen noch vor wenigen Jahrzehnten durch die Röntgenreihenuntersuchung geschleust, um der Tuberkulose auf die Spur zu kommen.

Knötchen oder Hohlräume in der Lunge sowie Flüssigkeitsansammlungen in der Brusthöhle können im Röntgenbild ein Hinweis auf Tuberkulose  (TBC) sein. Erst durch die Entdeckung der Röntgenstrahlen wird es überhaupt möglich, solche Veränderungen in der Lunge sichtbar zu machen. Vorher war man auf das Beobachten äußerlicher Krankheitssymptome sowie das Abklopfen und Abhorchen des Patienten beschränkt. Da erkrankte Personen jedoch häufig keine oder nur geringe Symptome zeigen, bleibt die Krankheit meist unerkannt und verbreitet sich stetig weiter. Deshalb spielt die Früherkennung im Kampf gegen Tuberkulose eine entscheidende Rolle.

Tuberkulose ist eine Infektionskrankheit, die durch Tuberkulosebakterien hervorgerufen wird. Die Tuberkulose betrifft vor allem die Lunge, kann aber auch in jedem anderen Organ auftreten. Über kleinste Tröpfchen gelangen die Erreger in die Lunge und lösen dort eine Entzündung des betroffenen Gewebes aus. Leit-Symptome der Lungentuberkulose sind, länger anhaltender Husten, erhöhte Körpertemperatur und Gewichtsverlust.

Röntgenbild des Thorax mit Lungentuberkulose, 1931
Quelle: W. Brednow / E. Hofmann: Röntgenatlas der Lungenerkrankungen


Nachdem sich die Röntgentechnik in den 1920er Jahren zu einem zuverlässigen Mittel zur Feststellung von Tuberkulose entwickelt hat, verspricht sie ein wichtiges Werkzeug zur Früherkennung der tückischen Krankheit zu werden. Doch es gibt eine große Hürde zu meistern: um die Krankheit effektiv einzudämmen, müsste man große Bevölkerungsgruppen untersuchen. Doch aussagekräftige Röntgenaufnahmen tausender Menschen sind schlichtweg zu aufwendig und zu teuer. 

Zu dieser Zeit wütet in Rio de Janeiro ein TBC-Epidemie. Als Leiter des hiesigen Röntgeninstitutes des öffentlichen Gesundheitsdienstes wird der brasilianische Arzt Manoel de Abreu direkt mit den Auswirkungen der Krankheit konfrontiert und sucht händeringend nach einer Lösung. Mitte der 1930er Jahre gelingt ihm die Entwicklung eines neuartigen Schirmbildgerätes, das Abreu mithilfe der brasilianischen Siemens Tochtergesellschaft, Casa Lohner, konstruiert und baut. Die Idee hinter der Technik ist nicht neu, aber Abreu ist der erste, dem es gelingt, die Idee in ein funktionstüchtiges Gerät umzuwandeln. Beim Schirmbildverfahren wird kein teures Röntgenbild aufgenommen. Stattdessen wird eine Kleinbildkamera verwendet, die das Bild auf dem Fluoreszenzschirm während der Untersuchung abfotografiert. Diese Technik ist wesentlich günstiger, viel schneller und der Durchbruch für die Einführung flächendeckender Röntgenreihenuntersuchungen zur Tuberkulosefrüherkennung. Ab 1936 untersucht Abreu tausende von Menschen in Rio mit seiner Schirmbildeinrichtung. Ein Jahr später reist Professor Holfelder im Auftrag der Siemens-Reiniger-Werke nach Brasilien. Er tauscht sich mit Abreu aus und überzeugt sich vor Ort von dem Apparat. Zurück in Deutschland nimmt Holfelder ein paar technische Änderungen vor und stellt schließlich mit dem Röntgenreihenbildner nach Abreu-Holfelder eine erweiterte Variante von Abreus Gerät vor. 

Insgesamt kommt das Schirmbildverfahren über Jahre hinweg in verschiedenen Röntgengeräten von Siemens wie dem Seriomat zur Anwendung. Der Seriomat ist einfach auf- und abzubauen sowie leicht zu transportieren, weshalb das System in den 1950er und 1960er Jahren überall rund um den Globus für Röntgenreihenuntersuchungen genutzt wird. 

Die Vorteile des Lungenscreenings fasst Dr. Gerhart Habenicht, der damalige Gesundheitssenator von Berlin, 1963 treffend zusammen: „Es handelt sich darum, einen Teil unserer Mitbürger auf Tuberkulose und nebenher übrigens auch auf Lungenkrebs zu untersuchen.“ Denn in den Röntgenbildern werden neben der Tuberkulose natürlich auch andere Erkrankungen der Lunge sichtbar. Dank der Entwicklung einer wirkungsvollen Antibiotikatherapie in Kombination mit den Früherkennungsmaßnahmen, TBC-Impfungen sowie den besseren Lebens- und Hygieneverhältnisse kann die Tuberkulose erfolgreich bekämpft werden und die Erkrankungsrate ist in den 1980er Jahren schließlich so gering, dass in vielen Ländern wie Deutschland und den USA die Lungenscreenings eingestellt werden. Mit dem Ende der Röntgenreihenuntersuchungen entfällt aber auch eine Möglichkeit, Lungenkrebs rechtzeitig zu erkennen.

Lungenkrebs ist global gesehen die zweithäufigste auftretende Krebserkrankungen. Gemäß einem Bericht der World Health Organization (WHO) erkrankten im Jahr 2020 weltweit mehr als 2 Millionen Menschen an dieser Krankheit, die ebenso tückisch ist wie die Tuberkulose. Da die Patient*innen anfangs keine oder nur sehr geringe Beschwerden haben, wird die Erkrankung oftmals erst (zu) spät bemerkt. Das hat zur Folge, dass Lungenkrebs weltweit die tödlichste Tumorerkrankung ist. Um die Überlebenschancen zu verbessern, ist es entscheidend, Lungenkrebs so früh wie möglich zu erkennen. 

Wird Lungenkrebs in den frühen Stadien 1-2 entdeckt, liegt die 5-Jahres Überlebensrate bei 70-90 Prozent. Bei der Diagnose in einem späten Stadium versterben 85 bis 90% der Patienten in den ersten 5 Jahren nach Diagnosestellung. 

Der Schlüssel hierzu können Früherkennungsprogramme mithilfe der Niedrig-Dosis-Computertomographie  (engl. Low-dose CT) sein, die die Möglichkeit bietet, Lungenkrebs in einem frühen Stadium zu diagnostizieren. Neben Lungenkrebs können in der CT-Aufnahme auch andere Krankheiten wie Ablagerungen in den Herzkranzgefäßen quasi als Nebenbefund erkannt werden, was den Wert der Screenings für die Patient*innen erhöht.

Low-Dose-CT (LDCT) ist eine spezielle Art der Computertomographie, bei der eine geringere Strahlendosis verwendet wird als bei herkömmlichen CT-Scans. Es wird beispielsweise zur Früherkennung von Lungenkrebs eingesetzt, da es eine bessere Bildqualität bietet als Röntgenaufnahmen der Brust, aber weniger Strahlung verwendet als herkömmliche CT-Scans. LDCT bietet in vielen Situation einen geeigneten Kompromiss zwischen Reduzierung der Strahlendosis und der Erhaltung einer ausreichenden Bildqualität für die medizinische Diagnose.

Im Vergleich zu den Röntgenreihenuntersuchungen zur TBC-Früherkennung, bietet die Computertomographie wesentlich genauere Darstellungsmöglichkeiten. Während auf herkömmlichen Röntgenaufnahmen die Strukturen überlagert sind und beispielsweise die Rippen Teile der Lunge im Röntgenbild verdecken, stellen die CT-Aufnahmen den Körper Schicht für Schicht dar. 

CT-Scan vs. Röntgenbild

Um Lungenkrebs-Screenings weltweit zu etablieren, ist es noch ein weiter Weg und es sind viele Fragen zu klären. Geht man zum Beispiel von der Tatsache aus, dass durch die Umsetzung von Screening-Programmen, die Zahl der Untersuchungen stark ansteigen wird, stellt sich unter anderem folgende Frage: Wie kann es gelingen, einerseits die niedergelassenen Ärzt*innen und radiologischen Praxen nicht zu überlasten und gleichzeitig jedem Menschen den Zugang zu einer Vorsorgeuntersuchung zu ermöglichen? Die Antwort können die Erfahrungen aus früheren Screening-Programmen liefern. Vor demselben Problem stand man nämlich auch damals bei der Einführung flächendeckender Röntgenreihenuntersuchungen zur TBC-Früherkennung. Um möglichst viele Patient*innen außerhalb regulärer Arztpraxen untersuchen zu können, wurden die Schirmbildgeräte in Busse eingebaut oder sogar auf Schiffen installiert. So konnten diese mobilen Untersuchungszimmer beispielsweise in Schulen oder Betriebe gefahren werden und erreichten auch Menschen in entlegeneren Regionen überall auf der Welt. Nicht nur ein Röntgengerät, sondern auch ein CT-Scanner kann auf Räder gestellt werden und rollt im LKW oder umgebauten Wohnmobil als mobile CT-Screening-Einheit überall dorthin, wo Lungenkrebs-Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden sollen – wie zum Beispiel auf einem Supermarktparkplatz.

Der Bus ist eine „fahrende Röntgenklinik“. Der Katalog aus dem Jahr 1950 zeigt, dass in dem Bus vom Röntgengerät bis hin zur Dunkelkammer alle wichtigen Bestandteile vereint sind, die für eine Röntgenreihenuntersuchung benötigt werden.

Schirmbildbus, 1950

Für die erfolgreiche Durchführung von Lungenkrebs-Screenings müssen auch genügend Radiolog*innen verfügbar sein, die die Bilder auswerten. Das ist nicht überall der Fall und hat zur Folge, dass durch die höhere Arbeitsbelastung weniger Zeit für die Auswertung der einzelnen Aufnahmen bleibt. Künstliche Intelligenz kann hier eine Lösung sein. 

Da vier Augen mehr sehen als zwei, stellt Siemens Healthineers den Radiolog*innen einen „automatisierten Helfer“ an die Seite. Basierend auf Deep-Learning-Algorithmen unterstützt die Anwendung AI-Rad Companion Chest CT1 bei der Befundung wie eine Zweitmeinung, indem sie beispielsweise Lungenknoten auf CT-Bildern automatisch erkennt, markiert sowie deren Volumen und Durchmesser berechnet. 

Siemens Healthineers AI-Rad Companion Chest

Wird beim Screening Lungenkrebs diagnostiziert, stehen je nach Stadium und Krebsart verschiedene Behandlungsmöglichkeiten von der Operation, einer Chemotherapie, der Bestrahlung bis hin zu einer Immuntherapie zur Verfügung. Mit einer Kombination aus modernen bildgebenden Verfahren, Strahlentherapiesystemen, Software-Applikationen und der Labordiagnostik unterstützten wir den gesamten Therapieverlauf von der ersten Diagnose über die Therapieplanung und Behandlung, bis hin zur Nachsorge. Rechtzeitig erkannt, kann Lungenkrebs dank der modernen Medizin und Medizintechnik heute schon geheilt werden.

Ganz gleich welche Art des Screenings, ob Röntgenreihenuntersuchung zur TBC-Früherkennung oder CT-Scans zur Lungenkrebsvorsorge, damals wie heute haben sie ein gemeinsames Ziel: Krankheiten frühzeitig zu diagnostizieren, um Leben retten zu können. 


Katharina Schroll-Bakes
Katharina Schroll-Bakes
Von Katharina Schroll-Bakes

Spezialistin für Historische Kommunikation und Historikerin im Siemens Healthineers Historical Institute