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Verstärkung für Chirurgen

Röntgen im Operationssaal
Verstärkung für Chirurgen
Die Aufklärung jedes Patienten vor einer Operation ist heute verpflichtend, denn jeder Eingriff ist mit gewissen Risiken verbunden. Explosionsgefahr gehört aber sicherlich nicht mehr dazu. In der Frühzeit der Röntgentechnik sieht das noch ganz anders aus. Bis in die 1930er Jahre laufen die Hochspannungsleitungen der Röntgengeräte offen durch den Raum. Dadurch ist das Personal nicht nur der Gefahr von elektrischen Unfällen ausgesetzt. In Verbindung mit Äther, einem der gängigsten Narkosemittel der damaligen Zeit, kann es durch Funken der Hochspannungsleitungen sogar zu Explosionen kommen. Das ist jedoch nicht der einzige Grund, warum es lange dauert, bis die Röntgentechnik sich auch im Operationssaal durchsetzt.

Röntgenuntersuchung mit dem Unipuls-Röntgenapparat. Die Hochspannungsleitungen laufen vom Funkeninduktor (im Schrank) offen zur Röhre, 1910

Das Bild dieser zahnärztlichen Röntgeneinrichtung aus dem Jahr 1909 zeigt deutlich, wie nahe Arzt und Patient den offenen Hochspannungsleitungen kommen.

Elektrisches „Feuerwerk“ in einem Hochfrequenzlaboratorium, um 1910
Für den Erfolg einer Operation ist es wichtig, dass der Arzt möglichst viel sieht. Daher muss das Operationsfeld hell erleuchtet sein. Doch genau das wird zum Hindernis bei der Kontrolle mit Hilfe der Durchleuchtung oder Fluoroskopie. Das Leuchtschirmbild ist so schwach, dass man den OP vollständig verdunkeln, oder Hilfsmittel wie Kryptoskope verwenden muss. Außerdem müssen sich die Augen der Ärzte vor jeder Durchleuchtung an die Dunkelheit gewöhnen, um auch die feineren Strukturen im Leuchtschirmbild erkennen zu können – und das zwischen 15 und 45 Minuten lang. Erst Mitte der 1950er Jahre erhalten die Ärzte buchstäblich Verstärkung.

Diese beiden Beispiele geben einen Eindruck davon, wie Durchleuchtungsbilder ausgesehen haben. Gewebe, das weniger Röntgenstrahlen absorbiert, das heißt quasi „verschluckt“, erscheint auf dem Leuchtschirmbild heller. Knochen beispielsweise, die eine hohe Absorption haben, erscheinen auf dem Leuchtschirm dunkel. Werbebroschüre für die Siemens-Röntgenkugel, 1951

Sogenannte Kryptoskope schaffen hier Abhilfe. An dem pyramidenförmigen Kasten ist oben ein Sichtfenster und unten ein Leuchtschirm angebracht. So kann man Durchleuchtungen auch in hellen Räumen durchführen. Das Bild stammt aus dem Jahr 1897

Durchleuchtung mit Kryptoskop und dem transportablen Röntgenapparat Nanos. Auch die Entwicklung kompakter und mobiler Röntgenapparate war ein wichtiger Schritt für das Röntgen im OP. Werbebild aus dem Jahr 1932

Vergleichbare Fußröntgengeräte sind vielleicht noch manchen Lesern bekannt. Auf dem Gehäuse mit Transformator und Röntgenröhre ist ein Betrachtungskasten aufgebracht, der den gleichen Zweck wie ein Kryptoskop erfüllt: Unabhängig vom Umgebungslicht kann anhand des Leuchtschirmbildes die Passform von Schuhen beurteilt werden – sogar von mehreren Personen gleichzeitig. Bis in die 1970er Jahre sind sie in deutschen Schuhgeschäften zu finden.
Schon in den 1930er Jahren wird daher vorgeschlagen, das Leuchtschirmbild elektronisch zu verstärken. Doch sollte es noch bis in die 1950er Jahre dauern, bis die elektronischen Röntgenbildverstärker marktreif sind. Mit ihrer Hilfe erkennt man selbst bei Tageslicht Details im Durchleuchtungsbild. Somit wird die Untersuchungszeit stark verkürzt – und das bei etwa einem Drittel der vorher notwendigen Strahlendosis.
Um den Ärzten die Arbeit im Operationssaal zu erleichtern, werden fahrbare Durchleuchtungseinheiten entwickelt, bei denen der Bildverstärker fest mit der Röntgenröhre verbunden ist. Aufgrund ihrer Form wird diese Verbindung C-Bogen genannt. Diese Bauweise hat den Vorteil, dass Bildverstärker und Röntgenröhre immer in der idealen Position zueinander sind. Durch die Möglichkeit, den C-Bogen in viele Richtungen zu drehen und zu schwenken, können die Ärzte jederzeit die beste Position für die Untersuchung wählen. Rückblickend zeigt sich, dass die Einführung des Bildverstärkers ein Wendepunkt ist und den Durchbruch für das Röntgen im Operationssaal bringt.

Schematische Darstellung der Funktionsweise eines Bildverstärkers mit Betrachtungsoptik. SRW-Werbedruckschrift, 1958

Bei der Bildverstärkerröhre treffen die Röntgenstrahlen auf den Eingangsleuchtschirm und erzeugen (wie bei einer gewöhnlichen Durchleuchtung) ein Leuchtschirmbild. Mit dem Eingangsleuchtschirm ist eine Fotokathode verbunden. Trifft das Licht des Leuchtschirms auf die Fotokathode, werden Elektronen ausgesendet; je heller das Licht, desto mehr Elektronen sind es. Die Elektronen werden im Bildverstärker elektrisch beschleunigt und durch die Elektroden der Elektronenoptik auf den Ausgangsleuchtschirm fokussiert. Auf dem Ausgangsleuchtschirm entsteht so zwar ein kleineres, aber ein vielfach helleres Bild, das entweder über eine Optik betrachtet, oder mit einer Kamera aufgenommen werden kann.

Die erste Bildverstärker-Durchleuchtungseinrichtung von Siemens, bestehend aus einem C-Bogen mit Bildverstärker und Röntgenröhre und dem fahrbaren Röntgenapparat Monodor, kommt 1957 auf den Markt.

Das Siremobil 4, 1987
Die Form des C-Bogens ist so gut für die Arbeit im OP geeignet, dass auch modernste Geräte wie das ARTIS pheno von Siemens Healthineers sie noch verwenden. Doch technisch beschreitet Siemens Healthineers mit dem ARTIS pheno – bei seiner Einführung das einzige mit Robotertechnik ausgestattete C-Bogen-System auf dem Markt – neue Wege: Es erkennt zu jeder Zeit die Position des Operationstisches und orientiert sich bei allen Bewegungen an dieser. Dank der sogenannten Memory-Positionen kann das System den C-Bogen bei Bedarf schnell aus dem Operationsfeld fahren und den Chirurgen und dem OP-Team freien Zugang zum Patienten ermöglichen. Anschließend kann der C-Bogen wieder in die exakt gleiche Aufnahmeposition zurückfahren. So kann eine direkte Ergebniskontrolle noch während des Eingriffs stattfinden.
Präzise und detailreiche Bildgebung hilft nicht nur den Ärzten bei ihrer Arbeit, sondern kommt auch direkt den Patienten zugute. Denn sie ermöglicht erst minimalinvasive Eingriffe – das heißt Operationen, mit kleinstmöglicher Einwirkung auf den Patienten. Diese Art von Eingriff kam lange Zeit vor allem in der Herz-, Gefäß- und Neurochirurgie zum Einsatz, etwa beim Implantieren sogenannter Stents, also Stützen, die Verengungen von Blutgefäßen beheben. Moderne Hybrid-OPs, die mit High-Tech-Geräten wie beispielsweise dem ARTIS pheno oder SOMATOM-Computertomographen ausgestattet sind, tragen dazu bei, dass auch andere Fachrichtungen – wie Orthopädie und Unfallchirurgie – mehr und mehr minimalinvasive Eingriffe durchführen können. Diese Art der Operation ist deutlich schonender, sodass sie besonders für die Behandlung älterer Patienten oder von Patienten mit Vorerkrankungen wichtig ist. Außerdem können durch minimalinvasive Eingriffe die Genesungszeit und die Dauer des Krankenhausaufenthalts deutlich reduziert werden. So können Patienten mit einer Beckenfraktur nach einer minimalinvasiven Schraubenfixierung schon einen Tag nach der Operation wieder unter Vollbelastung laufen. Dabei sind bei der Bildgebung Softwarelösungen nicht mehr wegzudenken. So errechnet beispielsweise syngo DynaCT innerhalb weniger Sekunden aus hunderten von Einzelbildern 3D-Bilder, ähnlich den Bildern von Computertomographen (CT). Besonders wichtige Bildinformationen aus den errechneten Bildern können beispielsweise während der Untersuchung mit den Durchleuchtungsbildern überlagert und so die Steuerung des Eingriffs noch präziser gemacht werden.
Selbst die Computertomographie (CT) kommt heute direkt im Operationssaal zum Einsatz. Bei diesen CT-Systemen gleitet die Gantry auf Schienen über den Patienten hinweg, ohne dass der Patient für den Scan bewegt beziehungsweise seine Liegeposition verändert werden müsste. Wird das System nicht gebraucht, kann es über die Schienen wieder in die Parkposition gefahren werden. Die Schienen selbst sind dabei so in den Boden eingelassen, dass sie kein Hindernis für Gerätewagen oder Betten darstellen.
Elektronische Bildverstärkung, robotergestützte C-Bogen-Systeme und Computertomographen – vom Nutzen dieser Errungenschaften hätten Chirurgen in der Frühzeit der Röntgentechnik vermutlich nicht einmal zu träumen gewagt. Diese Errungenschaften haben dazu beigetragen, dass die Bildgebung mit Hilfe von Röntgenstrahlen schon lange nicht mehr nur ein nützliches Hilfsmittel bei der Vorbereitung einer Operation ist, sondern die Arbeit von Chirurgen im OP maßgeblich unterstützt.


Spezialist für Historische Kommunikation und Historiker im Siemens Healthineers Historical Institute