Lehrwerkstatt der SRW in Erlangen, 1935

Die Siemens-Reiniger-Werke im Nationalsozialismus

Manuel Schusser
Veröffentlicht am April 16, 2025
Sowohl für die Siemens-Reiniger-Werke als auch für Deutschland und die gesamte Welt wird 1933 zum Schicksalsjahr. Die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur hat einen unmittelbaren und verhängnisvollen Einfluss auf das neue Unternehmen. Dennoch führt die Gründung der Siemens-Reiniger-Werke die Kräfte der Siemens Medizintechnik zusammen und stellt so die Weichen für die spätere Zukunft.

Mit den Handelsregistereinträgen in Fürth und Berlin im Januar und Februar 1933 sind die Gründerfirmen der Siemens-Medizintechnik erstmals in einem Unternehmen – den Siemens-Reiniger-Werken (SRW) – vereint.  Der offizielle Sitz der neuen Firma befindet sich in Berlin. Im sogenannten Haus des Arztes, das in unmittelbarer Nähe zur Charité liegt, sind unter der Leitung des Vorstandes Theodor Sehmer die Administration und der Vertrieb angesiedelt. Die SRW-Zentrale verfügt dort über repräsentative Ausstellungs- und Bewirtungsräume für Kunden. Die Fertigung, ebenso wie die technische Entwicklung, wird unter der Leitung des Vorstandes Max Anderlohr in Erlangen zusammengefasst. Damit werden die Siemens-Reiniger-Werke von einer Doppelspitze geleitet; die Verbindung zu Siemens & Halske (S&H) gewährleistet Heinrich von Buol als S&H-Vorstand und zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der SRW. Dieser muss auch öfter vermittelnd in Streitfragen zwischen den beiden SRW-Vorständen eingreifen.

Haus des Arztes in Berlin, 1935

Das Werk im thüringischen Rudolstadt fertigt die Röntgenröhren. Der Standort wird vergrößert und umfasst ab dem Geschäftsjahr 1935/36 auch das Röntgenforschungslabor. Zum Hauptproduktionsstandort baut man in den 1930er-Jahren jedoch den Standort in Erlangen aus. Hier werden mit Ausnahme von Elektrokardiographen, Röntgendosismessern und Hörgeräten alle sonstigen elektromedizinischen Erzeugnisse produziert. Mit mehreren Neubauten, geplant vom Siemens-Architekten Hans Hertlein, erweitert sich die Produktionsfläche gruppiert um zwei Innenhöfe auf fast 15.000 Quadratmeter; auch eine werkärztliche Dienststelle wird 1935 eingerichtet. Gleichzeitig steigt die Zahl der Mitarbeiter*innen von circa 900 im Geschäftsjahr 1932/33 auf über 2.100 im Jahr 1938/39, was zu dieser Zeit einem Anteil von 10 Prozent der Erlanger Erwerbstätigen entspricht. 

Die Firma erlebt in den 1930er-Jahren einen Aufschwung durch den steigenden Absatz ihrer Produkte und dies hat vor allem zwei Gründe: Einerseits liegt es an den zunehmenden Behördenaufträgen im Zuge der Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg im Inland, andererseits bringen die Siemens-Reiniger-Werke eine Reihe von Innovationen auf den Markt, die sowohl im Inland als auch im Ausland äußerst begehrt sind. Der Auslandsabsatz bleibt in den 1930er-Jahren konstant hoch und liegt 1936 bei über 50 Prozent. Der von Hans Domizlaff 1935 vereinheitlichte Werbestil des Hauses Siemens und all seiner Tochterfirmen unterstützt ein einheitliches Auftreten auf dem internationalen Markt. Das für die SRW entworfene Signet zeigt ein dominantes S, verschlungen mit dem Reiniger-R. Dazu verfügen die Siemens-Reiniger-Werke über ein großes Netz an Auslandsniederlassungen: Von Shanghai bis Buenos Aires, von Montreal bis Kalkutta unterhält man Büros auf der ganzen Welt, oft ausgestattet mit großzügigen Ausstellungsräumen, in denen sich die internationale Kundschaft von der Qualität der Medizintechnik aus Erlangen und Rudolstadt überzeugen kann. Gleichzeitig ist man auf den großen internationalen Kongressen für Medizintechnik vertreten. So überrascht es nicht, dass die Siemens-Reiniger-Werke vor dem Zweiten Weltkrieg als größte elektromedizinische Spezialfirma der Welt gelten. 

Das Jahr 1933 markiert sowohl die Gründung der Siemens-Reiniger-Werke als auch die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur. Die neuen Machthaber kontrollieren innerhalb kürzester Zeit das gesamte Leben in Deutschland und durchdringen es mit ihrer rassistischen und antiliberalen Ideologie. Dies hat auch auf die SRW sofortigen und unmittelbaren Einfluss. Bereits im Frühjahr 1933 wird in Erlangen auf Druck der örtlichen NS-Leitung der Betriebsrat abgesetzt und durch einen Vertrauensrat ersetzt, der zum Teil aus langjährigen NSDAP-Mitgliedern besteht. Mit dem „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ führt man das Führerprinzip in allen Unternehmen ein, die Angestellten und Arbeiter*innen stuft man zur bloßen Gefolgschaft des Betriebsführers herab, womit auch jede demokratische Mitbestimmung endet. Am 1. Mai 1933 begehen auch die Siemens-Reiniger-Werke den ersten „Tag der nationalen Arbeit“. Die Mitarbeiter*innen von SRW versammeln sich zur Ansprache ihres Vorstandes Max Anderlohr im Fabrikhof und zieht anschließend unter Führung der SA zusammen mit anderen Gruppen durch Erlangen. Tags darauf zerschlägt das NS-Regime die freien Gewerkschaften und gründen wenig später die „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) als Einheitsverband von Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgeber*innen. Der Beitritt zur DAF ist vordergründig freiwillig, die Unternehmensleitung übt jedoch Druck aus, um die Mitarbeiter*innen zum Beitritt zu bewegen. Der Mitgliedsbeitrag wird direkt vom Lohn abgezogen. 

Unterorganisationen der DAF wie „Kraft durch Freude“ veranstalten Erholungsurlaube und Freizeitaktivitäten, wodurch die DAF aber auch soziale Kontrolle ausübt und das nationalsozialistische Gedankengut verbreitet. Das Unternehmen führt im August 1933 als sichtbaren Ausdruck der neuen „Betriebsgemeinschaft“ den „Deutschen Gruß“ in den Werken Erlangen und Rudolstadt ein. Im Zusammenhang mit dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ müssen Vorstand und Prokurist*innen Ariernachweise erbringen, um weiterhin Behördenaufträge zu erhalten. Wie sehr der Rassenideologie auch die Personalpolitik bestimmt, macht ein Beispiel deutlich: Im Januar 1939 sucht die SRW-Vertretung in Rio de Janeiro per Zeitungsanzeige einen brasilianischen Staatsbürger „arischer Abstammung“. Dies führt zu einem Aufschrei in dem südamerikanischen Land, Demonstrant*innen belagern das Büro der SRW und die leitenden Angestellten nimmt man vorübergehend fest. Wegen der befürchteten negativen Wirkung auf den ausländischen Absatz ist dies für Theodor Sehmer als Leiter des Vertriebs eine Katastrophe. 

Aushänge der Deutschen Arbeitsfront, 1939

Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im September 1939 bedeutet für die Siemens-Reiniger-Werke einen tiefen Einschnitt und das Unternehmen wird noch stärker in die staatlich gelenkte Wirtschaft des NS-Staates einbezogen. Wie im Ersten Weltkrieg bricht nun auch ein Teil des Auslandsgeschäftes weg. Jedoch gelingt es bis 1942 über die Gesellschaften in Italien, Spanien und Schweden medizintechnische Produkte in neutrale Länder liefern zu lassen, vor allem in den wichtigen südamerikanischen Markt. Dennoch wird das internationale Geschäft erheblich erschwert. Trotzdem steigen sowohl der Umsatz, als auch die Anzahl der Beschäftigten. Dies hat zwei Gründe: Einerseits nehmen die öffentlichen Aufträge für die Wehrmacht weiter stark zu. Hier sind vor allem Feldröntgenapparate, aber auch andere elektromedizinische Erzeugnisse, wie zum Beispiel Metallsuchgeräte oder Ultrathermen gegen Erfrierungen, gefragt. Der Anteil an der Fertigung für das Militär beträgt im Geschäftsjahr 1939/40 bereits 14 Prozent. Ab 1941 übersteigt der Auftragseingang für elektromedizinische Produkte die Produktionskapazitäten von SRW, sodass die Firmenleitung Aufträge an Unternehmen in den besetzen Gebieten vergibt, vor allem nach Frankreich. Priorität haben hier ebenfalls Lieferungen an die Wehrmacht, gefolgt von Kliniken und private Kunden. 1943 wird die elektromedizinische Produktion von SRW von staatlicher Seite, als besonders kriegswichtig eingestuft, was entscheidende Bedeutung für Ressourcen- und Arbeitskräftezuteilung hat. 

Fertigung der Röntgenambulanz, 1940

Andererseits gibt es neben der elektromedizinischen Fertigung bereits ab dem Geschäftsjahr 1936/37 einen Sonderfertigungsbereich für militärische Güter, die nichts mit der Medizintechnik zu tun haben. Vor dem Krieg bauen die SRW vor allem Funkgeräte und Kurskreisel, später kommt ein Zielflugpeilempfänger genannt „Ludwig-Gerät“ hinzu. Die Erzeugnisse sind eine Lizenzfertigung für die Siemens-Beteiligungsgesellschaft Luftfahrtgerätewerk Hakenfelde GmbH in Berlin. In Rudolstadt gibt es keine Rüstungsproduktion, das Werk schafft es kaum die Lieferrückstande für Röntgenröhren aus der Vorkriegszeit abzuarbeiten, zumal immer neue Bestellungen hinzukommen. Die nicht-medizinische Sonderfertigung in Erlangen nimmt jedoch personell und wirtschaftlich immer größeren Raum ein. Der Anteil am Umsatz liegt im Geschäftsjahr 1944/45 bei über 50 Prozent. Unterstrichen wird die Bedeutung des Werkes durch die Auszeichnung des SRW-Vorstandes Max Anderlohr mit dem Titel „Wehrwirtschaftsführer“ zum 1. Januar 1941. Das Werk erreicht schließlich im Kriegsjahr 1943/44 mit über 3.000 Personen seinen bis dahin höchsten Mitarbeiter*innenstand. 

Aufruf für Verbesserungsvorschläge, 1942

Diese Belegschaft setzt sich allerdings anders zusammen als vor dem Krieg. Durch die zahlreichen Einberufungen zum Militär – bis zum Geschäftsjahr 1941/42 waren es bereits rund 600 Mitarbeiter –   sinkt der männliche Anteil an den Mitarbeitenden. Im gleichen Zeitraum werden freie Stellen hauptsächlich mit deutschen Frauen besetzt. Ab Februar 1941 sind es zunehmend Kriegsgefangene oder zwangsverpflichtete Ausländer*innen. Diese kommen zuerst aus den besetzten Westgebieten, zum Beispiel aus Frankreich, ab März 1942 nach dem Überfall auf die Sowjetunion, kommen auch erste Zwangsarbeiter*innen aus Russland und der Ukraine an. Der Anteil der Arbeiter*innen aus dem Ausland steigt kontinuierlich und erreicht im Juli 1943 mit 900 Personen aus 15 Nationen einen Höchststand. Der Großteil dieser Arbeiter*innen wird im Sonderfertigungsbereich eingesetzt. Unter den Zwangsarbeiter*innen gibt es eine auf den rassischen Grundsätzen des Nationalsozialismus beruhende Hierarchie. Am schlechtesten gestellt sind die sogenannten Ostarbeiter*innen. Tatsächlich handelt es sich zu einem großen Teil um Ostarbeiterinnen, der Frauenanteil liegt hier bei um die 80 Prozent. Sie werden nicht – wie Zwangsarbeiter*innen aus den besetzten Westgebieten – in angemieteten Gastzimmern untergebracht, sondern in eigens für sie errichteten Lagern mit Holzbaracken, wo einerseits schlechte hygienische Bedingungen herrschen und andererseits die Bewohner*innen im Winter nur unzureichend vor Kälte geschützt sind. Die Ostarbeiter*innen entlohnt die SRW geringer als ihre westlichen Kolleg*innen und sie bekommen die geringsten Nahrungsmittelrationen. Die Firmenleitung ist bestrebt Kontakt zwischen der deutschen Belegschaft und den Ostarbeiter*innen zu unterbinden. Die Arbeiter*innen aus den besetzten Ostgebieten dürfen sich nicht frei bewegen, sondern müssen sich in den bewachten Lagern aufhalten. Zur Ablenkung vom anstrengenden Alltag der Ostarbeiter*innen organisieren die SRW gelegentliche Veranstaltungen und Feiern. Dies gilt als einfache und billige Methode die Arbeitsmotivation zu erhalten. Schließlich ist das Unternehmen auf deren Arbeitskraft angewiesen und gerade die Ostarbeiterinnen gelten als besonders fleißig und diszipliniert.

Die zunehmende Bombardierung Berlins führt ab 1943 zu Planungen, kriegswichtige Fertigungen zu verlegen. Vor diesem Hintergrund erfolgt der schrittweise Umzug der SRW-Zentrale, der von 1943 bis kurz vor Kriegsende andauert. Die Vertriebsdirektion mit der Finanzverwaltung, der technische Vertrieb und die Werbeabteilung werden nach Erlangen verlegt. Nach der Besetzung Deutschlands durch die Alliierten liegen sowohl Rudolstadt als auch die SRW-Zentrale in Berlin in der sowjetischen Besatzungszone. Zahlreiche Geschäftsstellen in Deutschland sind bei Kriegsende zerstört. Das Werk in Erlangen jedoch wird am 16. April 1945 unzerstört den amerikanischen Truppen übergeben. Am 8. Mai 1945, dem Tag der deutschen Kapitulation, findet hier bereits wieder eine erste Vertriebsbesprechung statt.  

SRW Erk Erlangen, 1948

Manuel Schusser
Manuel Schusser
Von Manuel Schusser

Spezialist für Historische Kommunikation und Historiker im Siemens Healthineers Historical Institute