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Die wohl schönste Postkarte der Firmengeschichte

Die wohl schönste Postkarte der Firmengeschichte
Die Anfänge der Röntgentechnik bei Siemens Healthineers!
Mitte Januar 1896, wenige Tage nach Wilhelm Conrad Röntgens Entdeckung, beginnen erste Ärzte, die X-Strahlen bei bestimmten Untersuchungen zur Hilfe zu nehmen. Der alte Traum vom „gläsernen Patienten“ ist plötzlich wahr geworden. Praktisch von einem Tag auf den anderen laufen viele Diagnosen völlig anders ab. Die „Ärzte der Lichtheilkunde“ – wie die Radiologen bald genannt werden – stehen bei ihren Arbeiten jedoch vor technischen Schwierigkeiten: „Für den Anfänger ist die richtige Behandlung der Röhren Gegenstand manchen Kopfzerbrechens“, schreibt der Röntgenpionier Heinrich Albers-Schönberg. „Nicht selten passiert es, dass die Röhre durch verkehrten Funkenüberschlag geschädigt, das heißt durchgeschlagen wird.“
Gelegentlich zerplatzen die Röhren „mit lautem Knall unter Zerstäuben von außerordentlich kleinen Glasteilen nach allen Richtungen.“ Albers-Schönberg schlägt daher vor, das Gesicht des Patienten mit einem Tuch abzudecken, „um bei etwaigen Röhrenzertrümmerungen die Augen zu schonen.“ Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass die damaligen Röhren auf die Erforschung von Gasen ausgelegt sind. Mit ihnen lassen sich entweder gar keine Röntgenstrahlen erzeugen, oder der Anwender braucht großes Geschick, ausreichende Kenntnisse in Physik oder die Hilfe des Zufalls.

Hochfrequenz-Laboratorium, um 1910
Das auf Medizintechnik spezialisierte Erlanger Unternehmen Reiniger, Gebbert & Schall (RGS) – neben Siemens & Halske die zweitälteste Wurzel von Siemens Healthineers – baut bis zur Entdeckung der X-Strahlen hauptsächlich Therapiegeräte wie Lichtbäder und Reizstromapparate. Max Gebbert, der Inhaber von RGS, schickt drei Tage nach Bekanntwerden der Entdeckung einen seiner Mitarbeiter nach Würzburg.

Der Ingenieur Robert Fischer soll Wilhelm Conrad Röntgen aufsuchen und mit ihm sprechen. „Röntgen hat aber Herrn Fischer nicht empfangen, wie er überhaupt alle Besuche ablehnte“, verrät eine der Akten im Siemens Healthineers MedArchiv. Stattdessen habe er Robert Fischer an seinen Gehilfen verwiesen. „Dieser zeigte Herrn Fischer die sehr bescheidene Apparatur und zwar in Funktion.“ Nach Fischers Bericht wendet sich Max Gebbert mit Bitte um Unterstützung an Geheimrat Eilhard Wiedemann, einem Physiker der Universität Erlangen, der bereits Erfahrung mit ähnlichen Röhren gesammelt hat, wie sie Röntgen bei seiner Entdeckung verwendet hat. Wiedemann empfiehlt einige Versuchsanordnungen und schlägt Gebbert vor, seinen jungen Assistenten bei RGS einzustellen, den Starkstromingenieur Josef Rosenthal.
Meine ersten Versuche stellte ich mit den in physikalischen Laboratorien verwendeten Kathodenstrahlenröhren an. Da man sich damals noch keine Vorstellung über das Wesen der Röntgenstrahlen machen konnte, probierte man alles Mögliche; so versuchte man zum Beispiel, ob nicht durch Überlastung des Glühfadens einer gewöhnlichen Glühlampe die geheimnisvollen Strahlen erzeugt werden könnten, und manche Glühlampe wurde zu diesem Zweck durchgebrannt – natürlich vergebens.“
Erinnerungen Josef Rosenthals an die Pionierzeit der Röntgentechnik bei RGS
Schon bald erkennt Rosenthal, „dass zur Erzielung guter Röntgenbilder das Wichtigste eine besonders gut geeignete Röhre ist, und es gelang mir schon im Jahre 1896, mit solchen hervorragend schöne Röntgenbilder herzustellen.“
Mit dieser Röntgenröhre, die speziell für den medizinischen Einsatz konzipiert wurde, bildet Josef Rosenthal den Kopf eines lebenden 16-jährigen Mädchens ab und schickt die Aufnahme an Wilhelm Conrad Röntgen nach Würzburg. Wenige Tage später erhält RGS die wohl schönste Postkarte der Firmengeschichte.

Die wohl schönste Postkarte der Firmengeschichte


„Sehr geehrter Herr!“, schreibt Röntgen am 3. November 1896. „Für die Zusendung der sehr schönen Photographie eines Kopfes sage ich Ihnen meinen besten Dank, und ich ersuche Sie, mir für Rechnung des hiesigen Physikalischen Institutes zwei Vakuumröhren Ihrer Konstruktion (mit Gebrauchsanweisung) möglichst bald zu schicken. Hochachtungsvoll gez. Prof. W.C. Röntgen.“
„Ihre Röhren sind in der That sehr gut“
Unverzüglich schickt Rosenthal zwei Röhren nach Würzburg und erhält rund drei Wochen danach erneut Post, diesmal etwas ausführlicher, in Briefform: „Ihre Röhren sind in der That sehr gut“, leitet Röntgen das Schreiben ein. Die Kosten übersteigen jedoch Röntgens zu dieser Zeit knappes Budget. „Ich möchte mir deshalb die Frage erlauben, ob Sie mir die Röhren nicht zu 20 Mark statt zu 30 Mark liefern könnten.“ Dieser Vorschlag sei für RGS wohl akzeptabel, da es sich um einen Ausnahmefall handle, „und Ihnen vielleicht weitere Bestellungen von meiner Seite angenehm sein könnten. Falls Sie auf meinen Vorschlag eingehen, bitte ich Sie, mir für die zwei bereits verbrauchten Röhren vier andere gleicher Qualität und derer zwei kleinere und zwei größere zu schicken.“
Der Vorschlag scheint für Reiniger, Gebbert & Schall, auch wenn sich das heute in den Archiven nicht mehr nachweisen lässt, selbstverständlich akzeptabel gewesen zu sein – denn Wilhelm Conrad Röntgen hält eine dieser kleineren RGS-Röhren in der Hand, als er für ein Denkmal Modell sitzt, das auf der Potsdamer Brücke aufgestellt werden soll.

Ab 1897 bewirbt RGS die Röhre im weltweit ersten Katalog für Röntgeninstrumentarien. Der Verkauf dieser Röntgenapparate entwickelt sich schnell zum großen Erfolg: Die erst wenige Jahre alte Fabrik muss erweitert werden, um die hohe Nachfrage zu befriedigen. Im Jahre 1898 beschäftigt RGS bereits dreimal mehr Mitarbeiter als vor der Entdeckung der Röntgenstrahlen.

Der Firmenkatalog von Reiniger, Gebbert & Schall des Jahres 1897


Technikjournalist und Autor im Siemens Healthineers Historical Institute