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Der Kampf gegen den Krebs
Der Kampf gegen den Krebs

Wie die Röntgenstrahlen zu einem Mittel der Therapie wurden
Rudolf Virchow ist Mitte des 19. Jahrhunderts als erster auf dem richtigen Weg: Krebs ist eine Erkrankung, die entsteht, wenn krankhaft veränderte Zellen sich unkontrolliert vermehren. In der Regel beginnt Krebs als lokale Krankheit, die sich erst in einem späteren Stadium ausweitet, bis sie den ganzen Körper erfasst. Dazwischen lieg ein Zeitfenster, indem der Krebs noch örtlich bekämpft werden kann. Die Chirurgie ist hier lange Zeit die einzige Möglichkeit.
Erste Erfolge
Die Entdeckung der Röntgenstrahlen im Jahr 1895 sorgt für eine Revolution in der Medizin. Bereits drei Wochen nach der Entdeckung schreibt der ungarische Pathologe Endre Höyges: „Es gibt keinen Zweifel, dass die chemisch wirksamen Strahlen auch biologisch aktiv sind und eines Tages eine therapeutische Rolle in der Medizin haben werden.“ Und so probieren von der neuen Technologie begeisterte Forscher die Strahlen für Therapiezwecke aus. Einer der ersten ist der Arzt Leopold Freund. Bereits 1896 behandelt er am Wiener Allgemeinen Krankenhaus ein Mädchen mit krankhafter Rückenbehaarung.

Die fünfjährige Patientin vor der Behandlung, 1896
Quelle: Medizinische Universität Wien

Nach sechswöchiger Behandlung, 1897
Quelle: Medizinische Universität Wien

Die gleiche Patientin etwa 70 Jahre später, 1966
Quelle: Medizinische Universität Wien
Zu Beginn gibt es keine speziellen Apparate für die Röntgentherapie. Der erste große Schritt in diese Richtung ist die von William Coolidge 1913 entwickelte Röhre, die höhere Spannungen und damit härtere Strahlung, die tiefer in den Körper eindringen kann, erzeugt. Auf dieser Grundlage entwickelt Friedrich Dessauer, einer der Pioniere der Strahlentherapie, seinen Reformapparat. Aber auch Reiniger, Gebbert & Schall (RGS) in Erlangen stellen mit dem Symmetrie-Apparat ein erfolgreiches Röntgengerät speziell zur Tiefentherapie vor.

Angesichts der oft stundenlangen Bestrahlungssitzungen rückt der Strahlenschutz – mehr noch als bei der Diagnostik – ins Zentrum der Betrachtungen. Der Siemens Bestrahlungskasten von 1922 ist das erste Gerät von Siemens, das das Bedienpersonal und den Patienten zuverlässig vor den Gefahren des Röntgentiefentherapiebetriebes wie Strahlung, aber auch Hochspannung schützt. Dies machte die Behandlung einfacher und weniger unangenehm. Hinter dem Bestrahlungskasten stehen die Stabilivolt- und Multivoltanlagen, welche weniger störanfällig sind und die Bestrahlungszeiten verkürzen.

Tiefe und Präzision
Trotz der großen Fortschritte auf dem Gebiet der Strahlentherapie ist es zunächst nicht möglich, eine genügend harte Strahlung zu erzeugen, um auch Tumoren im Körperinneren erfolgreich behandeln zu können. Einen Ausweg bietet hier der Kreisbeschleuniger. Elektronen werden mittels eines Elektromagneten auf einer Kreisbahn beschleunigt und plötzlich abgebremst; es entsteht sehr harte Röntgenstrahlung. Die Siemens-Reiniger-Werke stellen 1950 den Kreisbeschleuniger Betatron auf dem Internationalen Röntgenkongress in London vor.

In den nachfolgenden Jahrzehnten werden diese von Linearbeschleunigern – wie dem Mevatron von Siemens – abgelöst. Die Beschleunigung der Elektronen auf einer Geraden ermöglicht eine größere Strahlenausbeute und eine für die Therapie noch besser geeignete Strahlung. Damit hat sich die Strahlentherapie endgültig neben der Chirurgie als zweite Therapiesäule etabliert. Mit der Chemotherapie kommt in den 1950ern die dritte Säule hinzu.

Mit dem Linearbeschleuniger kann jeder Tumor erreicht werden, egal wie tief er im Körper liegt. Jedoch konnte die Lage und Ausdehnung des Tumors nur näherungsweise bestimmt werden. Die Entwicklung der Computertomographie Anfang der 1970er ermöglicht es, die Lage und Ausdehnung exakt zu erkennen. Damit kann die Bestrahlungsdosis nun gezielt auf den Tumor abgestimmt werden. Aber mehr noch, mit der CT-Untersuchung kann nun individuell berechnet werden, wie die Strahlung den Körper jedes einzelnen Patienten durchdringt, was eine noch genauere Anpassung der Strahlendosis erlaubt. Mit der Verfeinerung der Computertomographie und der Entwicklung der Magnetresonanztomographie (MRT) und dann vor allem der Positronenemmissionstomographie (PET) kann man den Tumor in all seinen Verästelungen, Ausbuchtungen und Einkerbungen sichtbar machen. Um solchen komplexen Gebilden zu Leibe zu rücken, bedarf es auch eines immer feineren Werkzeuges.
In den 1990er Jahren entwickelt sich hierzu die intensitätsmodulierte Strahlentherapie (IMRT), sie ermöglicht eine fast exakte Nachformung des Tumors mit Röntgenstrahlen. Es entsteht eine Skulptur aus Röntgenlicht, zusammengesetzt aus vielen einzelnen Strahlensegmenten mit unterschiedlichen Dosisverteilungen, die der Form des tatsächlichen Tumors sehr nahe kommt und eine präzise Bestrahlung erlaubt. Der von Siemens 1997 eingeführte Linearbeschleuniger PRIMUS ist einer der erfolgreichsten Beschleuniger, der die neue Technologie (IMRT) nutzt.

Aufbau eines Linearbeschleunigers mit Multilamellenkollimator für IMRT, 2004
Umso exakter jedoch die Fokussierung auf den Tumor ist, umso wichtiger ist es, die Positionierung des Patienten bei der Bestrahlung zu kontrollieren. Damit dies gewährleistet wird, werden Hybrid-Systeme entwickelt, die Linearbeschleuniger und CT-Scanner miteinander kombinieren. Das PRIMATOM-System ist ab 2002 das erste Hybridsystem auf dem Markt. Die bildgestützte Strahlentherapie entwickelt sich zum neuen Standard. Da sich der Tumor und seine Umgebung aber auch während den Bestrahlungen ändert, braucht es Systeme, die eine sofortige Kontrolle und nötigenfalls Dosisanpassung während der Behandlung ermöglichen. Das ARTISTE-System von 2006 macht das möglich. Dadurch wird eine noch bessere Schonung des umgebenden gesunden Gewebes erreicht.

Vorsorge und Risiko
Noch immer sind die Erfolgsaussichten Krebs zu heilen, dann am besten, wenn er früh erkannt wird. Deswegen haben Vorsorgeuntersuchungen und Screenings hier eine besondere Bedeutung. Als Screening-Programm hat sich mittlerweile vor allem die Mammografie für Frauen zwischen 50 bis 70 Jahren etabliert. Hier bietet Siemens Healthineers mit der Mammomat-Familie seit 1972 die passenden Röntgensysteme. Für eine der häufigsten Krebsarten, den Lungenkrebs, ist ein Screening-Programm für Risikopatienten mit einer gering dosierten CT-Untersuchung im Gespräch. Das SOMATOM go.UP mit seiner hohen Scangeschwindigkeit eignet sich besonders gut für das Aufspüren von Lungenkrebs bereits im Frühstadium. Auch mittels der Untersuchung von Blut- oder Gewebeproben kann man zunehmend ermitteln, welche Patienten ein Risiko haben, an bestimmten Krebsarten zu erkranken oder welche Medikamente individuell besser wirken. In Zukunft werden Daten aus dem Labor kombiniert mit den Daten aus der Bildgebung eine immer präziser auf den jeweiligen Patienten abgestimmte Therapie und eine ständige Kontrolle des Therapieerfolges ermöglichen.

SOMATOM go.UP
Spezialist für Historische Kommunikation und Historiker im Siemens Healthineers Historical Institute