Innovationskultur

Hörenswertes

Die Anfänge der Siemens-Hörgeräte 

4min
Ingo Zenger
Veröffentlicht am April 1, 2017

Die Geschichte der Siemens-Hörgeräte beginnt in Berlin im Sommer 1911: Direktor Carl Kloenne von der Deutschen Bank hört schlecht, und wünscht sich einen elektrischen Hörapparat. Sein Freund, Professor August Raps, ist der Leiter des Wernerwerks in der Berliner Siemensstadt, wo zu dieser Zeit Fernmeldeapparate gefertigt werden. Er beauftragt seinen Assistenten Louis Weber, ein für die starke Schwerhörigkeit Kloennes geeignetes Gerät herzustellen.

Louis Weber forscht im Wernerwerk in Siemensstadt an der Verbesserung von Lautsprechern und Mikrofonen für Fernmeldeanlagen. Als er 1911 mit der Entwicklung seines „Schwerhörigenapparats“ beginnt, kann er auf die Grundlagen zurückgreifen, die bereits Werner von Siemens gelegt hat: Im Jahr 1878 baut er ein Telefon mit Hufeisenmagnet und verbessert dadurch deutlich die Sprachqualität der ersten Apparate. Dabei zeigt sich erstmals, dass Schwerhörige ihren Gesprächspartner wesentlich besser verstehen, wenn Sprache elektrisch verstärkt wird.

Siemens-Telefon mit Hufeisenmagnet 1877_16x9

Um 1911 sind bereits elektrische Hörhilfen von anderen Herstellern auf dem Markt, die jedoch sehr groß und damit schwer und auffallend sind. Weber achtet bei seiner Konstruktion nicht nur auf die verbesserte Tonqualität; das Gerät sollte „auch möglichst klein sein, dass es den Hörenden recht wenig belästigte.“ 

Louis Weber

Nach zahlreichen Versuchen gelingt es ihm, ein besonders empfindliches Körnermikrofon herzustellen, das er als Doppelmikrofon mit einem kleinen Hörer und einer Drei-Volt-Batterie zu einem „Schwerhörigenapparat“ zusammenbaut. Weber geht mit seinem Gerät zu Direktor Kloenne, um ihm „nach anderen vergeblichen Versuchen [...] mit diesem Apparat zu helfen. Doch wieder vergeblich.“ Daraufhin unternimmt Louis Weber „einen letzten verzweifelten Versuch“: Er lässt einen Doppelkopfhörer statt des vorher verwendeten Einzelhörers anfertigen und macht sich erneut auf den Weg zu Kloenne. Als der Geheimrat den Doppelhörer sieht, meint er, ein Versuch wäre zwecklos, da er auf einem Ohr völlig taub sei. Weber kann ihn schließlich überreden, den Apparat doch auszuprobieren, und „siehe da, Geheimrat Kloenne konnte jetzt auch auf dem angeblich tauben Ohr mithören und machte ein zufriedenes Gesicht über den Erfolg.“ Später notiert Weber: „Ich erinnere mich gern des Tages, als mir Geheimrat Kloenne freudig bewegt erzählte, dass er mit Hilfe des neuen Hörapparats wieder seit langer Zeit an einer Gesellschaft teilnehmen konnte.“

Nach Webers erfolgreicher Entwicklung beschließt Siemens & Halske, Hörhilfen unter dem Namen Esha-Phonophor zu vertreiben. „Esha“ – gesprochen „es-ha“ – steht für S&H, der damals gängigen Abkürzung des Firmennamens.

Phonophor mit doppeltem Schallfänger

Als das Gerät Ende 1913 auf den Markt kommt, ist es in mehreren Varianten zu haben. Darunter gibt es auch eine spezielle Ausführung für Damen, bei der Mikrofon und Batterie in einer Handtasche untergebracht sind. Eine andere Version in Form einer damals beliebten Klappkamera kann wie diese unauffällig an einem Ledergürtel getragen werden. Zudem kann der Schwerhörige von Anfang an zwischen einfachem, doppeltem oder gar vierfachem Schallfänger wählen – je nach Grad der Schwerhörigkeit.

Phonophor-Modell für Damen ca. 1914

Die von Weber entwickelte Technik ist noch lange Zeit in Gebrauch, freilich in überarbeiteter Form mit besseren Werkstoffen. Er entwickelt ein Jahr nach dem Phonophor ein kleines, von ihm selbst als „Ohrtelefon“ bezeichnetes Gerät, das als Hörer für die Telefonistinnen in Fernsprechämtern eingesetzt wurde. Dieser aufgrund seiner Form auch „Haselnuss“ genannte Ohrhörer sieht modernen In-Ear-Kopfhörern äußerlich sehr ähnlich und hat eine mit tierischer Trommelfellhaut bespannte Membran. Der Ohrhörer wird wenig später auch in neueren Baureihen der Phonophore als alternativer Hörer angeboten. Nachdem Mitarbeiter von Siemens & Halske von der zunehmenden Schwerhörigkeit Wilhelm Conrad Röntgens erfahren hatten, schenken sie ihm 1922 eines ihrer neuen Modelle. 

Frau mit haselnussförmigem Hörer für Telefonistinnen, ca. 1920

Ingo Zenger
Ingo Zenger
Von Ingo Zenger

Technikjournalist und Autor im Siemens Healthineers Historical Institute