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Die Geschichte einer ganz besonderen Röhre 

Wie unsere Rudolstädter Kollegen eine 125 Jahre alte Röntgenröhre zu neuem Leben erweckten

5min
Ingo Zenger
Veröffentlicht am July 1, 2021

Mit der Nachricht von der Entdeckung der Röntgenstrahlen verändert sich im Januar 1896 die Welt – und in der Geschichte unseres Unternehmens beginnt eine völlig neue Ära. Bereits drei Tage nach Bekanntwerden der Entdeckung starten wir die Konstruktion unserer ersten medizinischen Röntgenröhre. 

Wilhelm Conrad Röntgen persönlich findet unser Fabrikat „in der That sehr gut“ und bestellt – zunächst per Postkarte, dann per Brief – für seine Versuche weitere Röhren bei uns. Die Postkarte und der Brief zu Röntgens Bestellungen unserer Röhre gehören zu den besonderen Schätzen in unserem MedArchiv. Was in unserer Sammlung bis vor kurzem noch fehlte, war ein originalgetreues Modell ebendieser Röhre. Bei der Vorbereitung zum Röntgenjahr 2020 hatten wir schließlich eine Idee. Wir fragten unsere Kollegen im Röntgenwerk Rudolstadt: „Könnt ihr die erste Röntgenröhre unserer Firmengeschichte zu neuem Leben erwecken?“

 RGS-Mitarbeiter mit unserer ersten medizinischen Röntgenröhre, 1896

Eine 125 Jahre alte Röntgenröhre detailliert nachzubauen, ist eine größere Herausforderung als wir alle vorher dachten. Die industrielle Fertigung unserer modernen Röntgenröhren ist nicht mehr mit den reinen Handarbeiten des Jahres 1896 zu vergleichen. Zudem geben die Originalpläne in unserem MedArchiv Rätsel auf. Aus welchen Materialien besteht das Innere der Röhre? Wie sind die einzelnen Bauteile im Detail aufgebaut und wie wurden sie zusammengesetzt? Wir brauchen ein Original, das wir genau unter die Lupe nehmen können.

Originalskizze der ersten Röntgenröhre von RGS aus dem Jahre 1896

Die Suche führte uns schnell zu Udo Radtke, einem passionierten Sammler, der seit 1975 mehr als 18.000 Radio-, Sende- und Röntgenröhren aus aller Herren Länder in seinem privaten Museum in Gütersloh zusammenträgt. „Ja, natürlich habe ich Ihre erste Röntgenröhre in meiner Sammlung“, teilte er uns am Telefon wie selbstverständlich mit, „ich habe sie vor einigen Jahren in England gefunden.“ 

Der Röhrensammler Udo Radtke bringt sein Original unserer Röntgenröhre nach Rudolstadt

Wir luden Udo Radtke nach Rudolstadt ein, führten ihn als V.I.P. durch unsere Fertigung, ließen sein Original unserer Röntgenröhre von unseren Experten begutachten und scannten mit unserem SILAC-System jedes noch so winzige Detail. Mit der daraus entstandenen technischen Zeichnung machten sich unser Glasbläser-Meister Jörg Linke und unsere Röhrenbauer Stefan Werner und Andre Knäblein an die Arbeit.  

 „Man merkt erst, was die Menschen früher geleistet haben, wenn man es nachbauen will,“ stellte Jörg Linke anerkennend fest. „Vor allem wenn man bedenkt, dass sie nicht unsere heutigen technischen Möglichkeiten hatten.“

Jörg Linke beim Röhrenbau - in Handarbeit, wie vor 125 Jahren

Um sich mit der damaligen Arbeitsweise vertraut zu machen, besuchte Jörg Linke das nahegelegene Gehlberg, wo unsere Röntgenröhre im Jahre 1896 – wir hatten zu dieser Zeit noch keine eigene Glasbläserei – nach unseren Konstruktionsplänen von der Firma Gundelach gebaut wurde. Er tauschte sich mit anderen Glasbläsern aus, fragte Udo Radtke um Rat und machte sich mit den historischen Materialien vertraut. Glas, zum Beispiel, ist heute deutlich härter als früher. Um die Röhre ohne Ecken und Kanten formen zu können, erklärt Linke, sei deutlich „mehr Feuer“ nötig. 

Nach wochenlangen Vorbereitungen und vorsichtigem Herantasten an die ungewohnte reine Handarbeit war es im Januar 2020 schließlich so weit: Wir hielten den ersten Nachbau unserer historischen Röntgenröhre in den Händen. 

Der detailgetreue Nachbau der ersten Röntgenröhre unserer Firmengeschichte

Ingo Zenger
Ingo Zenger
Von Ingo Zenger

Technikjournalist und Autor im Siemens Healthineers Historical Institute