Der Göpeldynamo von Siemens & Halske im Einsatz, 1907.
Bildgebung

Mit 2 PS zum Röntgenbild 

Wie das Röntgen mobil wurde 

6min
Stefan Dirnberger
Veröffentlicht am October 1, 2020

Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde. Manchmal hängt auch der Erfolg einer Röntgenuntersuchung von unseren vierbeinigen Freunden ab.

Pferde spielen eine wichtige Rolle bei den Anfängen des mobilen Röntgens. Sie können die Wagen ziehen, auf denen die Röntgeneinrichtungen transportiert werden. Sie können aber auch für den Strom sorgen, der für den Betrieb der Einrichtungen nötig ist: 1907 bringt Siemens & Halske einen Dynamo auf den Markt, der von zwei Pferden angetrieben wird. So können auch dort Untersuchungen ausgeführt werden, wo kein Stromnetz zur Verfügung steht. 

Lange Zeit sind mobile Röntgengeräte vergleichsweise unhandlich und werden für den Transport in schweren Holzkästen verstaut. Den Grundstein für wirklich kompakte Röntgenapparate legt der Amerikaner Harry F. Waite mit einem Patent, das er 1919 in den USA anmeldet. Seine Idee: Den Hochspannungstransformator und Röntgenröhre zusammen in einem Strahlenschutzgehäuse unterzubringen, ein sogenannter Einkessel- bzw. Eintankgenerator.

Dieses Prinzip des Eintankgenerators steckt hinter einem äußerst erfolgreichen Produkt in der Firmengeschichte von Siemens Healthineers: der Siemens-Röntgenkugel. Sie ist äußerst kompakt gebaut – ein Gewicht von nur 12 Kilo bei einem Durchmesser von 22 Zentimetern – und äußerst robust. Das beweist ein besonderes Abenteuer zweier Röntgenkugeln. Die Kugeln gehören dem schwedischen Roten Kreuz und sind in Afrika im Einsatz. Dort fallen sie Plünderern zum Opfer, die sie jedoch auf ihrer Flucht wieder wegwerfen. Deswegen liegen die beiden Röntgenkugeln – während der Regenzeit – wochenlang im Morast. Doch sie werden gefunden und gelangen über Umwege wieder zu ihrem ursprünglichen Besitzer. Die Kugeln sind verschmutzt und verbeult und sehen „nicht so schön aus, wie es sich für einen Apparat im ärztlichen Untersuchungszimmer gehört.“ Aber eine gründliche Überprüfung durch die Siemens-Reiniger-Werke zeigt, dass die Geräte vollkommen funktionstüchtig und sicher sind! Schnell entwickelt sich die Röntgenkugel weltweit zum Verkaufsschlager. Von ihrer Markteinführung 1934 bis Ende 1950 werden 23.309 Exemplare verkauft. Und bis zu ihrem Produktionsende 1974 kommen noch viele tausend dazu.

Mitte des 20. Jahrhunderts gewinnt die Röntgentechnik besonders im Kampf gegen die Tuberkulose an Bedeutung. Auch nachdem Robert Koch (1843-1910) im Jahr 1882 den Auslöser der Krankheit identifiziert hat, beschränkt sich die Diagnose lange Zeit auf Abhorchen und Abklopfen der Patienten. Ab den 1920er Jahren ist die Röntgentechnik das wichtigste Diagnosemittel zur Feststellung von Tuberkulose. Allerdings sind Röntgenaufnahmen großer Bevölkerungsgruppen, die für die effektive Eindämmung der Tuberkulose nötig wären, zu teuer. Den Fortschritt bringt ein neues Verfahren, dass sich Ende der 1930er Jahre durchsetzt: das Schirmbildverfahren. Dabei wird das Bild des Leuchtschirms bei der Untersuchung in kleinerem Format mit einem Fotoapparat abfotografiert. Dadurch wird die Untersuchung günstiger und schneller, sodass nun in kürzerer Zeit eine größere Anzahl von Personen untersucht werden kann. 

Das erste brauchbare Schirmbildgerät entwickelt der Arzt Manoel de Abreu mit der brasilianischen Tochterfirma der Siemens-Reiniger-Werke, Casa Lohner in Rio de Janeiro. Im Rahmen der Reihenuntersuchungen geht man verstärkt dazu über, Röntgengeräte in Bussen zu installieren. Dadurch kann das Untersuchungszimmer beispielsweise direkt in Betriebe oder zu Schulen gebracht werden und die Untersuchung größerer Bevölkerungsgruppen wird zusätzlich erleichtert. Bis 1988 werden in Deutschland Reihenuntersuchungen durchgeführt. 

Natürlich werden auch weiterhin mobile Röntgengeräte beispielsweise für den Einsatz im Operationssaal oder am Krankenbett gebraucht. 1982 bringt Siemens das Mobilett auf den Markt. Mit seinem Gewicht von 230 Kilo kann es zwar nicht mit kleinen Apparaten wie etwa der Röntgenkugel mithalten, aber es ist dennoch ein Leichtgewicht: Das Mobilett wiegt über 100 Kilo weniger als vergleichbare Modelle des Wettbewerbs. Es ist leicht beweglich und dabei ebenso leistungsfähig wie stationäre Apparate. Das Mobilett und das ebenfalls in den 1980er Jahren eingeführte Polymobil bilden den Anfang von zwei Produktserien, die heute noch zum Portfolio von Siemens Healthineers gehören. 

Heute werden selbst Computertomographen – für gewöhnlich tonnenschwer – mobil: Im Dezember 2019 stellt Siemens Healthineers auf dem weltweit wichtigsten radiologischen Kongress, dem RSNA in Chicago, seinen neuen, fahrbaren Kopfscanner SOMATOM On.site vor. Er macht es möglich, bei Intensivpatienten CT-Untersuchungen direkt am Patientenbett durchzuführen. So entfällt der zeit- und personalaufwendige Transport des Patienten von der Intensivstation in die Radiologie.

Der mobile Kopf-CT-Scanner SOMATOM On.site, 2019.

Es war ein langer Weg vom Beginn des mobilen Röntgen mit einer Stromerzeugung durch Pferde bis hin zu einem mobilen Schädel-CT Scanner, der ans Patientenbett in der Intensivstation gerollt wird. Und die spannende Entwicklung der mobilen Röntgentechnik ist mit Sicherheit noch nicht zu Ende.


Stefan Dirnberger
Stefan Dirnberger
Von Stefan Dirnberger

Spezialist für Historische Kommunikation und Historiker im Siemens Healthineers Historical Institute